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Besteuerung des Grenzgängers und zur Grenzgängereigenschaft: Art. 15a DBA-Schweiz (1971/2010):

BFH, Beschluss vom 19. 09.2025, VI B 3/25

Vorinstanz: Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2024, Az: 4 K 2273/23

Ausgangssituation:

Nach Artikel 15 Abs. 1 DBA-Schweiz (1971/2010) – Unselbständige Arbeit – können vorbehaltlich der Artikel 15a bis 19 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

Art. 15a DBA-Schweiz (1971/2010) gilt lex specialis als Sondervorschrift für Besteuerung der Grenzgänger zwischen Deutschland und der Schweiz.

Ungeachtet des Artikels 15 können gemäß Art. 15a Abs.1 DBA-Schweiz Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Zum Ausgleich kann der Vertragsstaat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, von diesen Vergütungen eine Steuer im Abzugsweg erheben. Diese Steuer darf 4,5 vom Hundert des Bruttobetrages der Vergütungen nicht übersteigen, wenn die Ansässigkeit durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Finanzbehörde des Vertragsstaates, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, nachgewiesen wird. Artikel 4 Absatz 4 bleibt vorbehalten.

Grenzgänger im Sinne des Absatzes 1 ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

Wenn die Voraussetzungen des Grenzgängers (sog. echter Grenzgänger) vorliegen, weil der Grenzgänger regelmäßig nach Arbeitsende an seinen deutschen Wohnsitz zurückkehrt, steht Deutschland für die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit als Ansässigkeitsstaat das alleinige Besteuerungsrecht zu.

Der schweizerische Arbeitgeber darf lediglich eine Grenzgängerabgabe von maximal 4,5 % des Bruttolohns erheben, wenn der Arbeitnehmer von seinem deutschen Wohnsitzfinanzamt eine Ansässigkeitsbescheinigung vorlegt (vgl. Art. 15a Abs. 1 S. 3 DBA-Schweiz). Diese ist auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Höhe der tariflichen Einkommensteuer (vgl. Art. 15a Abs. 3 S. 1 Buchstabe a) DBA-Schweiz i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Es kann auch zu einer Erstattung dieser Grenzgängerabgabe kommen.

Sachverhalt:

Streitig war, ob der in der Schweiz bezogene Arbeitslohn des Klägers als im Inland (Deutschland) steuerfrei zu behandeln war oder ob der Kläger als Grenzgänger nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz (DBA-Schweiz) anzusehen war.

Die Einkünfte des Klägers sind nach Art. 15a Abs. 1 des DBA-Schweiz im Inland (Deutschland) zu versteuern. Denn der Kläger ist Grenzgänger im Sinne des Art. 15a DBA-Schweiz. Hiernach können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus – wie der Kläger – unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist – im Streitfall also in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Kläger ist nach der Überzeugung der Vorinstanz an weniger als 60 Tagen (ca. 45 Tagen) aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht von der Schweiz ins Inland zurückgekehrt und hat damit die Grenze der nebenberuflichen Nichtrückkehrtage schon nach seinem eigenen Vortrag nicht überschritten. Die Grenzgängereigenschaft ist somit nicht entfallen.

Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz (1971/2010) entfällt die Grenzgängereigenschaft bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres nur dann, wenn eine Person an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (vgl. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz -1971/2010 -). Eine Reduzierung dieser 60 Nichtrückkehrtage aufgrund einer Erkrankung sieht das DBA-Schweiz (1971/2010) nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht vor.

Dabei sind nach Nr. II.2. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929)  – Verhandlungsprotokoll -, das nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 enthält (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30.09.2020 – I R 37/17, BFHE 271, 120, Rz 18, und vom 01.06.2022 – I R 32/19, BFHE 277, 279, Rz 13, m.w.N.), Arbeitstage im Sinne des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage.

Insoweit sieht Nr. II.3. des Verhandlungsprotokolls vor, dass bei einem Arbeitnehmer, der ‑ anders als der Kläger ‑ nicht während des gesamten Kalenderjahrs in dem anderen Staat beschäftigt ist, die für die Grenzgängereigenschaft nicht schädlichen Tage der Nichtrückkehr in der Weise zu berechnen sind, dass für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen sind.

Entsprechend regelt Nr. II.4. Satz 2 des Verhandlungsprotokolls, dass bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen der Nichtrückkehr durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen ist. Schließlich wird nach Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände – wie zum Beispiel bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst – über mehrere Tage erstreckt.

Tage der Nichtrückkehr sind folglich nur dann zu berücksichtigen, wenn – wie in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 bestimmt – diese Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung (aus beruflichen Gründen) erfolgt. Das heißt, dass eine “Rückkehr” aus dem Tätigkeitsstaat an den Tagen nicht verlangt wird, an denen sich der Grenzgänger aus privaten Gründen (etwa wegen Urlaubs oder Krankheit) nicht in den Tätigkeitsstaat begeben hat.

Hier geht es zum BFH-Beschluss: BFH, Beschluss vom 19. 09. 2025, VI B 3/25

Hier geht es zum FG-Urteil (sehr lesenswert): Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 11.12.2024, 4 K 2273/23

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